Archiv der Kategorie: Berichte

Perspektiven für Afrika

Mohamed ist schon einmal gescheitert. Sein Versuch, die EU über die Kanarischen Inseln zu erreichen endete in einem Flugzeug nach Bamako. Aber seine Mutter schickte ihren ältesten Sohn wieder los, er muss die Familie unterstützen und in Mali sieht sie keine Chance. Also machte Mohamed sich wieder auf den Weg über Algerien nach Marokko. Die deutsche Filmemacherin Miriam Faßbender begleitete Mohamed und seine Weggefährten mit der Kamera, teilweise filmten sie selbst, wo die Begleitung zu gefährlich wurde. Es waren zermürbend lange Monate, in denen die jungen Männer Geld für die Schlepper verdienen mussten, ständig in Angst vor willkürlicher Abschiebung.

Der Dokumentarfilm „Fremd“ war der erste Beitrag in unserer diesjährigen Reihe „Kino für Menschenrechte — Focus Africa“. Er bewegte die etwa 20 Zuschauer und hinterließ einige Fragen. Warum müssen diese jungen Männer überhaupt ihre afrikanische Heimat verlassen? Wie lassen sich menschenwürdige Perspektiven für sie entwickeln?

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„Anstöße zur Diskussion — Von Flüchtlingen, anderen MigrantInnen und inkohärenter Politik“ heißt eine Broschüre, die gerade von Serge Palasie beim Eine Welt Netz NRW herausgegeben wurde.

Als Diskussionspartner war an dem Abend Serge Palasie gekommen, Leiter der Fachstelle Flucht, Migration und Entwicklung im Eine Welt Netz NRW. Er lernte Mali während seiner Studienzeit kennen. „Natürlich sind viele Probleme in Afrika hausgemacht, also durch Korruption und mangelhafte Regierungen. Aber selbst wenn das alles einmal funktionieren sollte, sind da immer noch riesige Hürden für die Wirtschaftsentwicklung, an denen auch die EU nicht unschuldig ist.“ Freihandelsabkommen wie TTIP, die derzeit in in Deutschland heiß diskutiert werden, existieren auch zwischen der EU und afrikanischen Staaten, die auf dem freien Markt jedoch nicht annähernd konkurrenzfähig sind.

Aber auch Indien und China haben inzwischen mehr als einen Fuß in der Tür. „Warum fällt es gerade den afrikanischen Staaten so schwer, sich zu behaupten und eigene Perspektiven zu entwickeln?“, kam eine Frage aus dem Publikum. „Ich glaube, ein großer Unterschied liegt in 400 Jahren Sklavenhandel. Das hinterlässt Spuren in einer Gesellschaft und zerstört Vertrauen“, vermutet Serge Palasie.

Geregelte Wege, um in westlichen Ländern zu studieren und zu arbeiten und anschließend das Gelernte bzw. Verdiente wieder in der afrikanischen Heimat zu investieren scheinen kein effektiver Ausweg zu sein. „Die wenigsten gehen zurück, wenn sie sich einmal woanders etabliert haben, denn die Verdienstmöglichkeiten in Afrika bleiben sehr begrenzt“, erzählte Palasie. Ein weiterer zunächst positiv scheinender Aspekt, dass Auswanderer Geld schicken, um zum Beispiel den Schulbesuch von verwandten Kindern zu ermöglichen, kann sich auch ins Gegenteil verkehren. „Es kann so weit gehen, dass sich Arbeit nicht mehr lohnt.“

Einzelne Länder sind inzwischen auf einem guten Weg sich zu entwickeln. „Aber das sind meist kleine, für das große Ganze unbedeutende Länder. Solange große und einwohnerstarke Staaten wie Nigeria und Kongo die Kurve nicht kriegen, bleibt es sehr schwierig in Afrika“, resümierte Palasie.

„Anstöße zur Diskussion — Von Flüchtlingen, anderen MigrantInnen und inkohärenter Politik“ heißt eine Broschüre, die gerade von Serge Palasie beim Eine Welt Netz NRW herausgegeben wurde.

Interview von Serge Palasie mit Inge Heck-Böckler, Amnesty International-Mitglied und Referentin für Flüchtlingsfragen im Bezirk Aachen, Landesbeauftragte in NRW für politische Flüchtlinge und Leiterin der Themenkoordinationsgruppe Antirassismus.

 

Frühlingserwachen 2016

Die Ohligser haben einen guten Draht zum Wetteramt. Quasi Frühlingsgefühle trieben die Solinger nach dem überraschenden Wintereinbruch von Freitag am verkaufsoffenen Sonntag auf die Straße. Gute Tradition unsererseits ist es, das nahe Datum des Weltfrauentags zu nutzen und Fair-Trade-Rosen an die Damenwelt zu verschenken. Außerdem haben wir uns für den Fall einer brasilianischen Umweltschützerin, die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in Irland und die angemessene Gesundheitsversorgung von traumatisierten Flüchtlingsfrauen durch Petitionen eingesetzt. Danke an alle, die unterschrieben haben!

Marmelade für Menschenrechte

WDuerpel_4253Noch bis Sonntag Abend gibt es in der Amnesty-Hütte auf dem Ohligser Weihnachtsdürpel im Wittenbergpark Quitte-Prosecco, Pflaume-Rum, Johannisbeer-Raki im Marmeladenglas, handgerührt für Menschenrechte! Außerdem Gebäck, nelkengespickte Orangen, den beliebten Amnesty-Jahresplaner, Musik-CD und aktuelle Petition, die auf Eure Unterschrift warten.

Besonders ans Herz legen möchten wir als Weihnachtsgeschenktip die Benefiz-CD „Displaced, Songs that can’t replace home“, die die NDR Big Band zusammen mit Roger Cicero, Laith Al-Deen und anderen Künstlern für die Amnesty-Flüchtlingshilfe eingespielt hat. Sie kann übrigens über jede Buchhandlung um die Ecke bestellt werden. Think global, buy local!

Indonesien: Filep Karma ist frei

Aktivist Filep Karma: © Amnesty International

Hoffnung für Johan Teterissa! Heute wurde Filep Karma aus der Haft entlassen! Er war genau wie Johan wegen des Schwenkens einer Unabhängigkeitsflagge zu jahrelanger Haft verurteilt worden. Leider stammt Johan aus der abgelegenen Region Molukken, aber wir hoffen natürlich, dass wir mit dem Einsatz verschiedener Amnestygruppen weltweit auch für ihn und seine Mitgefangenen bald eine Freilassung erreichen können.

Mehr dazu: amnesty.de/2015/11/19/indonesien-filep-karma-ist-endlich-frei?linkId=18917807

Indonesien erlesen

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Silke Höttges liest aus Andrea Hiratas Roman „Die Regenbogentruppe“, übersetzt von Peter Sternagel, © Hanser Berlin im Carl Hanser Verlag München 2013

Eine leicht überforderte Mutter, die den ersten Schultag ihres Sohnes vorbereitet: Schultornister, Schreibzeug, Schultüte, Sportsachen, Bastelsachen, usw. und das alles bitte nicht schwerer als 10% des Körpergewichts – gut, dass der Junge etwas übergewichtig ist – macht summa summarum knapp 400 €. Geht doch.

Diesen überraschenden Kontrast wählte Silke Höttges als Einstieg in die Lesung aus dem Roman „Die Regenbogentruppe“ des indonesischen Autors Andrea Hirata. Dort fehlt es an fast allem, insbesondere am zehnten Schüler, der am ersten Schultag für den Fortbestand der Dorfschule Voraussetzung ist. Aber er kommt, wenn auch mit Verspätung. Woran es den Schülern jedoch niemals mangelt sind Wissensdurst und Freude am Lernen.

Silke Höttges wählte Szenen aus, die am Beispiel des kleinen Lintang die Entbehrungen verdeutlichen, die der Junge und seine bitterarme Familie auf sich nehmen, um ihm den Traum vom Lernen zu ermöglichen. Auch die Lehrerin, die unermüdlich versucht ihre Schüler zu begeistern, spielt eine zentrale Rolle in dem Roman und ist das Alter Ego von Andrea Hirata, dessen Lebensmotto „Do I inspire you?“ in Indonesien großen Wiederhall findet.

Die Amnesty-Gruppe verband die Lesesequenzen mit Informationen über Indonesien, die Beziehungen zwischen Deutschland und dem Inselstaat und über den Fall von Johan Teterissa, den unsere Gruppe seit 2009 betreut.

Die Lesung fand auch aus Anlass der Frankfurter Buchmesse statt, bei der in diesem Jahr Indonesien Gastland ist. Zahlreiche Bücher indonesischer Autoren wurden deswegen jetzt ins Deutsche übersetzt.

Am 1. Dezember zeigen wir in unserer Reihe „Kino für Menschenrechte“ den Dokumentarfilm „The act of killing“, den Joshua Oppenheimer 2012 in Indonesien mit den Mördern des Militärputschs von 1965 gedreht hat. Derzeit ist der Nachfolgefilm „The look of silence“ in den Kinos, der die Perspektive der Opfer einnimmt. Wir freuen uns auf einen spannenden Abend und den Besuch von Karl Mertes von der Deutsch-Indonesischen Gesellschaft Köln, die bereits seit 1950 Brücken nach Südostasien schlägt.

Politische Gefangene in Indonesien

Leider hält auch die neue indonesische Regierung unter Joko Widodo an der Praxis fest, friedliche Demonstranten wegen „Rebellion“ zu langjährigen Haftstrafen zu verurteilen. Auch Johan Teterissa sitzt inzwischen seit 8 Jahren im Gefängnis, weit ab vom Wohnort seiner Familie.

Amnesty International und andere Organisationen haben am 29. Juni 2015 einen weiteren Appell an die indonesische Regierung gerichtet, alle gewaltlosen Demonstranten, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und Gewissenfreiheit wahrgenommen haben, unverzüglich freizulassen.