Cobra Kino, Merscheider Straße 77-79,
am Montag, den 24.06.2024 um 20 Uhr
„Green Border”
Der Film ist vielfach prämiert ein Meisterwerk der polnischen Regisseurin Agnieszka Holland – brillant, aufwühlend und voller Menschlichkeit.
Hoffnung ist nicht grenzenlos
„Green Border“ erzählt von Flüchtlingen in der Zone zwischen Belarus und Polen. Der Film blickt aus verschiedenen Perspektiven auf die humanitäre Krise.
Von Martin Schwickert
„Die Route über Belarus ist ein Geschenk Gottes“, glaubt Amina. Den gefährlichen Weg übers Mittelmeer hätte sie mit den beiden Kindern nicht nehmen können. Amina (Dalia Naous) ist mit ihrer Familie vor dem Krieg in Syrien geflüchtet und hofft in Schweden Asyl beantragen zu können, wo schon der Schwager lebt. Im Flugzeug überreichen die Stewardessen bei der Landung in Minsk jedem Passagier eine rote Rose. Es ist die erste und letzte Willkommensgeste für die Geflüchteten.
Am Flughafen wartet zwar wie besprochen ein Kleintransporter, der sie zur Grenze nach Polen bringen soll. Der Schleuser setzt die Fahrgäste jedoch mitten im Wald ab und jagt sie durch ein Loch im Stacheldrahtzaun. Nun sind sie zwar in Polen und die Freude, es in die EU geschafft zu haben, ist groß, aber das ist für die Familie erst der Beginn einer schrecklichen Odyssee.
In ihrem neuen Film „Green Border“, der in Venedig mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet wurde, reist Agnieszka Holland in das Grenzgebiet zwischen Polen und Belarus. Hierher hat der belarussische Diktator Lukaschenko im Jahr 2021 Tausende von Flüchtlingen mit leeren Versprechungen gelockt, um sie als Teil seiner hybriden Kriegsführung gegen die Europäische Union zu missbrauchen. Mit ihrem bewegenden Film schaut Holland hinter die Nachrichtenbilder von Flüchtlingsströmen und begibt sich mitten in die sumpfigen Bialowieza-Wälder, die für die Geflüchteten aus Syrien, Afghanistan oder Afrika zur Falle werden.
Auf der polnischen Seite herrscht in der militärischen Sperrzone entlang der Grenze der Ausnahmezustand. Die Asylsuchenden werden von den Grenztruppen eingesammelt und wieder durch den Stacheldrahtzaun zurück nach Belarus deportiert. Dort warten schon die belarussischen Soldaten mit Gewehren und Schlagstöcken, um sie schnellstmöglich wieder auf die polnische Seite zu treiben. Den Geflüchteten bleibt nichts anderes übrig, als sich in den sumpfigen Wäldern zu verstecken und auf Rettung zu hoffen.
Holland blickt auf die humanitäre Krise an der Grenze mit einer multiperspektivischen Erzählweise. Das Schicksal der Flüchtlingsfamilie wird genauso gezeigt wie das Leben des Grenzsoldaten Jan (Tomasz Wlosok), der mit seiner hochschwangeren Frau gerade eine eigene Familie gründet und zunehmend an der menschenverachtenden Brutalität seines Jobs verzweifelt.
Indem Holland in ihrem Film die verschiedenen Sichtweisen eng miteinander verzahnt, entsteht ein komplexes Bild der dramatischen Zustände an der EU-Außengrenze, wo der Zynismus politischer Entscheidungen auf dem Rücken hilfsbedürftiger Menschen ausgetragen wird. Holland erspart dem Publikum in den schwarz-weiß gehaltenen, halbdokumentarischen Aufnahmen nichts von den menschenunwürdigen Zuständen.
„Green Border“, der während des polnischen Wahlkampfes ins Visier der PiS-Propaganda geriet, ist ein hoch emotionales, machtvolles und zugleich analytisches Porträt einer humanitären Katastrophe, in der sich auch der systematische Rassismus widerspiegelt. Am Ende spult der Film vor ins Jahr 2022 an die polnisch-ukrainische Grenze, wo dieselben Grenztruppen Frauen und Kinder, die vor dem russischen Angriffskrieg flüchten, freundlich in Empfang nehmen. Zwei Millionen Flüchtlinge hat Polen zu Beginn des Ukraine-Kriegs aufgenommen. Eine ungeheure humanitäre Leistung. Derweil gingen die Pushbacks an der belarussischen Grenze weiter.
mit Dalia Naous, Tomasz Wlosok, Maja Ostaszewska
Regie: Agnieszka Holland
Länge:147 min, FSK:12, Land: Polen, Tschechien, Frankreich, Belgien, Jahr:2023
Eintritt EUR 8,00 / 7,00 (ermäßigt)